Das Iḥrām-Kleid und die Erinnerung an das Leichentuch

Der Ḥajj [und die ʿUmrah] ist voller Weisheiten, Lehren und tiefgreifender Erinnerungen. Wer ihn mit offenem Herzen verrichtet, findet unzählige Mahnungen für sein Leben. Eine dieser Mahnungen ist das Iḥrām-Kleid, das der Muslim anlegt, sobald er den Mīqāt1 erreicht, den der Gesandte Allāhs ﷺ festgelegt hat.

Gleichheit im Iḥrām

Der Pilger legt seine gewohnte Kleidung ab und trägt nur zwei einfache Tücher: ein Izār (untere Bedeckung) und ein Ridāʾ (obere Bedeckung, ohne den Kopf zu verhüllen). In diesem schlichten Gewand sind alle Menschen gleich – ob reich oder arm, Führer oder Geführter.

Dieses Bild erinnert uns daran, dass nach dem Tod alle Menschen ebenfalls gleich in weiße Leichentücher gehüllt werden, ohne Unterschied zwischen Wohlstand und Armut.

Der Prophet ﷺ sagte:

„Tragt weiße Gewänder, denn sie sind am reinsten und schönsten; und hüllt darin auch eure Toten ein.“2

Auch der Beste aller Menschen, der Prophet Muḥammad ﷺ, wurde in drei weißen Baumwolltüchern beigesetzt – ohne Hemd und ohne Turban.3

Erinnerung an den Tod

Wenn der Pilger seine Kleider am Mīqāt ablegt und das Iḥrām-Kleid trägt, soll er sich an den Tod erinnern:

  • dass das Leben in dieser Welt endet,
  • dass nur die weiße Hülle des Leichentuchs bleibt,
  • und dass alles andere – Besitz, Ansehen, Beziehungen – vergeht.

Der Prophet ﷺ sagte:

„Gedenkt häufig des Zerstörers der Genüsse“ – nämlich des Todes.4

ʿAbdullāh ibn Masʿūd (رضي الله عنه) sagte:

„Der Tod allein ist schon eine ausreichende Ermahnung.“

Wer den Tod verinnerlicht, richtet seinen Blick auf das Jenseits, sucht nicht mehr die Dunyā als höchstes Ziel, lässt sich von Sünden abhalten und die Prüfungen /Herausforderungen des Diesseits werden erträglicher.

Was bleibt im Grab?

Wenn der Mensch stirbt, verlässt ihn alles: Familie, Besitz, Freunde. Nur seine Taten bleiben.

Der Prophet ﷺ sagte:

„Dem Toten folgen drei Dinge: seine Familie, sein Besitz und seine Taten. Zwei kehren zurück, und eines bleibt: Seine Familie und sein Besitz kehren zurück, aber seine Taten bleiben.“5

Und er ﷺ sagte:

„Wenn der Mensch stirbt, werden seine Taten abgeschnitten, außer von dreien: eine fortlaufende Spende, Wissen, von dem Nutzen gezogen wird, oder ein rechtschaffener Sohn, der für ihn duʿāʾ macht.“6

Allāh erinnert uns:

„An dem Tag, da weder Besitz noch Söhne (Kinder) nützen – außer dem, der mit einem heilen Herzen zu Allāh kommt.“7

Und:

„Ihr seid nun allein zu Uns gekommen, so wie Wir euch das erste Mal erschufen. Alles, was Wir euch gewährten, habt ihr hinter euch gelassen.“8

Nur die Taten zählen

Das wahre „Kapital“ des Menschen sind nicht seine Reichtümer, sondern das, was er für Allāh ausgegeben hat. Der Prophet ﷺ sagte:

„Der Sohn Adams sagt: ‚Mein Besitz, mein Besitz!‘ Aber hast du, o Sohn Adams, wirklich etwas von deinem Besitz außer dem, was du gegessen hast und damit aufgebraucht hast, was du getragen hast und damit abgenutzt hast, oder was du gespendet hast und damit fortgeschickt hast?“9

Und er ﷺ sagte:

„Das Vermögen eines Menschen ist das, was er vorausgeschickt hat. Das, was er zurückgelassen hat, gehört seinem Erben.“10

Fazit

Das Iḥrām-Kleid erinnert uns an die Vergänglichkeit des Lebens. Alles, was wir hier besitzen, bleibt zurück. Mit uns ins Grab gehen nur unsere Taten. Wer dies verinnerlicht, nutzt sein Leben als Vorbereitung auf das Jenseits.

Der Engel Jibrīl sagte einst zum Propheten ﷺ:

„O Muḥammad, lebe, wie du willst – du wirst sterben. Liebe, wen du willst – du wirst ihn verlassen. Tue, was du willst – du wirst ihm begegnen.“11

Möge Allāh uns das ständige Gedenken an den Tod erleichtern und uns mit rechtschaffenen Taten für das Jenseits ausstatten.12

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  1. Vgl. meinen Artikel: „Die Mawāqīt: Zeitliche und örtliche Grenzen für den Iḥrām“ [online: Die Mawāqīt: Zeitliche und örtliche Grenzen für den Iḥrām]. ↩︎
  2. Musnad Imām Aḥmad (Nr. 20154), Jāmiʿ at-Tirmidhī (Nr. 2810) u. Sunan an-Nasāʾī (Nr. 1896). ↩︎
  3. Ṣaḥīḥ al-Bukhārī (Nr. 1264) u. Ṣaḥīḥ Muslim (Nr. 941). ↩︎
  4. Musnad Imām Aḥmad (Nr. 7925), Jāmiʿ at-Tirmidhī (Nr. 2307) u. Sunan an-Nasāʾī (Nr. 1824). ↩︎
  5. Ṣaḥīḥ al-Bukhārī (Nr. 6514) u. Ṣaḥīḥ Muslim (Nr. 2960). ↩︎
  6. Ṣaḥīḥ Muslim (Nr. 1631). ↩︎
  7. Qurʾān (26: 88–89). ↩︎
  8. Qurʾān (6: 94). ↩︎
  9. Ṣaḥīḥ Muslim (Nr. 2958). ↩︎
  10. Ṣaḥīḥ al-Bukhārī (Nr. 6442). ↩︎
  11. Überliefert bei aṭ-Ṭayālisī (Nr. 1862) und bei al-Ḥākim (4/325). Al-Albānī stufte ihn als ḥasan ein in Ṣaḥīḥ al-Jāmiʿ (Nr. 4355). ↩︎
  12. Für die Verschriftlichung dieses Artikels wurde das Buch “Min Madrasat al-Ḥajj” von Shaikh ʿAbd ar-Razzāq ibn ʿAbd al-Muḥsin al-Badr (S. 100–104) herangezogen. ↩︎

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